Auf der Strecke

Uns allen sollte eigentlich klar sein: Unsere Erde braucht uns nicht, wir sie aber schon.

Sie hat lange vor uns existiert und wird es auch nach uns noch lange tun. Gemessen an den vier Milliarden Jahren Erdalter sind unsere paar Hunderttausend ziemlich unbedeutend. Aber die kurze Geschichte der Menschheit ist auch eine der Umweltzerstörung, die seit Beginn der Industrialisierung vor gut 200 Jahren eine atemberaubende Beschleunigung aufgenommen hat. Wir leisten uns Kriege rund um den Globus, hacken und brennen die großen Regenwälder ab, blasen weltweit Unmengen Abgase in unsere Luft und immer noch zu viele ungeklärte Abwässer in Flüsse und Meere, leisten uns Staaten, die von gnadenlosen Diktatoren, Oligarchen oder Verbrecherbanden dominiert werden und vermehren uns bei all dem Chaos munter weiter, obwohl wir bei unserem Ressourcenverbrauch schon jetzt zu viele sind. Mehr als eine Milliarde von uns ist unmittelbar von Hunger und Trockenheit bedroht, Millionen setzen sich in Bewegung, um dem Elend ihrer Heimat zu entkommen, aber die allermeisten werden nirgends ankommen, wo sie überleben könnten oder gar willkommen wären. Während dessen tragen verantwortungslose Staatenlenker, fanatische Religionsführer, verquere politische Sekten und sonstige Machthaber unbekümmert ihre Hahnenkämpfe auf unserer aller Kosten aus, und der von uns allen nur gemeinsam vielleicht noch zu gewinnende Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe bleibt auf der Strecke. Wir wissen, was zu tun ist. Stattdessen werden weltweit viele neue Kohlekraftwerke gebaut, halten zu viele US-Bürger bedenkenlosen Umweltverbrauch immer noch für Teil des American Dreams, und hierzulande behindern wir uns gegenseitig bei der Umsetzung klimaschonender Technik und die Klimawende bleibt auf der Strecke.

Hans Jörg Tröscher

veröffentlicht als Leserbrief im Wiesbadener Kurier